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Tagebuch eines Blindenführhundes – Auswahl eines Welpen 1

Sonntag, 20 Mai 2007

Beginnen wir das Tagebuch mit der Auswahl eines geeigneten Welpen

Vor der Auswahl eines Welpen kommt allerdings eigentlich noch die Entscheidung für eine bestimmte Rasse. Was das Lernvermögen, die Intelligenz, betrifft sind nämlich prinzipiell keine Rasseunterschiede vorhanden. Wir könnten also auch einen Herdenschutzhund auswählen. Diese Hunde aber wurden ursprünglich nicht für die Zusammenarbeit mit dem Menschen gezüchtet, sondern bewachten alleine ihre Herde. Sie mussten sehr selbstständig handeln, bekamen keine Anweisungen von ihren Besitzern. Wir dagegen brauchen einen Hund, der gerne mit dem Menschen zusammenarbeitet, dafür geboren bzw. gezüchtet wurde.

Der Labrador, klassischer Blindenführhund, wird also nicht aufgrund seiner besonderen Intelligenz so häufig ausgewählt, sondern weil er meistens die nötige Mischung aus Phlegma und Arbeitswillen zeigt, nicht zu temperamentvoll und nervös ist, trotzdem aber immer wieder gerne mit dem Menschen zusammenarbeitet. Wurde er doch als Jagdbegleiter gezüchtet, der dem Jäger die geschossene Ente aus dem Wasser holt (retrieved).

Im Fall unseres Blindenführhundes „Shawn“, dessen Ausbildung hier beschrieben werden soll, ist die Wahl auf einen anderen klassischen Arbeitshund gefallen, den Deutschen Schäferhund. Übrigens gehörten Deutsche Schäferhund zu den ersten Blindenhunden überhaupt. Nach dem ersten Weltkrieg wurden ehemalige Melde-, bzw Sanitätshunde (damals fast ausschliesslich Deutsche Schäferhunde) ausgebildet, um Kriegsblinden zu helfen, wieder einen halbwegs normalen Alltag zu führen.

Kommen wir zur Auswahl des Welpen: Da hat man nun also einen Haufen kleiner, schwarzer „Maulwürfe“ vor sich und soll nun entscheiden, welcher davon unser zukünftiger Blindenführhund wird ? Wie sollen wir das nur herausfinden ?

Die Welpen sind bei diesem ersten Test ungefähr 7 – 9 Tage alt, haben die Augen noch geschlossen. Sie befinden sich in der sogenannten Vegetativen Phase, d. h. ihre Sinnesleistungen bestehen aus Geruchs-, Tast-, und Wärmesinn und beschränken sich auf die unmittelbare Umgebung. Die Welpen zeigen angeborenes, im Erbgut festgelegtes Verhalten.

Wir können also zu diesem frühen Zeitpunkt das Wesen der Welpen unbeeinflusst durch ihre Umwelt testen. Na, sagen wir mal , nahezu unbeeinflusst. Denn auch diese kleinen Wesen haben schon ihre ersten Lernerfahrungen gemacht: Hatten sie Hunger oder war ihnen kalt, so mussten sie etwas tun, um diesen Zustand zu verändern, mussten sich in Bewegung setzen, sich anstrengen und wurden dann für die Mühe belohnt, durch den Kontakt zu den Wurfgeschwistern bzw. die Milch ihrer Mutter.

Züchter, die für konstant hohe Temperaturen im Wurfzimmer sorgen und den Welpen ständig helfen, an die Zitzen zu kommen aus Sorge um das Wohlergehen der Kleinen, nehmen ihnen diese ersten wichtigen Erfahrungen. Wird ein solcher Wurf getestet, so wird man es wohl mit eher trägeren, faulen Welpen zu tun bekommen, die darauf warten, dass das Manna vom Himmel fällt. Ihr angeborenes, ursprüngliches Temperament ist nicht mehr so deutlich zu sehen.

Zurück zu unserem Haufen kleiner, schwarzer „Maulwürfe“: Wie gehen wir jetzt vor, um herauszufinden, welcher Welpe unser Blindenhund werden könnte ? Er soll mit uns zusammenarbeiten, sollte eher unselbstständig sein, damit er unsere Nähe sucht und uns jeden Wunsch von den Lippen abliest, wichtige Voraussetzungen für ein leichte Ausbildung. Zusammenarbeiten mit uns können diese Kleinen aber noch nicht. Sie haben ja noch nicht einmal ihre Mutter und ihre Geschwister gesehen, nur gerochen und gefühlt.

Etwas aber können wir schon zu diesem Zeitpunkt testen, nämlich wie stark sie sich auf Hilfe von aussen verlassen oder auch nicht. Das erste würde einen sozial abhängigen Welpen beschreiben,letztgenanntes einen eher sozial unabhängigen, selbständigen Welpen.

Für den Test legen wir jetzt jeden Welpen einzeln für drei Minuten in die Mitte unseres Testfelds, ein in Quadrate unterteiltes Laken, und beobachten sein Verhalten unter folgenden Gesichtspunkten: Wieviel bewegt er sich und wie sieht die Qualität der Bewegung aus, zielstrebig suchend oder wahllos? Wieviel schreit er und wie schreit er, eher jämmerlich oder eher fordernd ? Voraussetzung für den Test ist natürlich, das alle Welpen hungrig sind, sonst liegen sie satt und zufrieden auf unserem Testfeld und wir können nur die Qualität ihres Schlafverhaltens aufzeichnen.

Hier nun das Ergebnis:

Welpe 1 : bleibt in der Mitte liegen, schnüffelt ein wenig herum, setzt sich dann in Bewegung, zunächst im Halbkreis, schliesslich zielstrebig in eine Richtung.

Welpe 2 : ähnlich wie bei Welpe 1, aber er gibt dabei ständig immer lauter werdende Töne von sich, bleibt schliesslich liegen und „meckert “ nur noch

Welpe 3 : bleibt ebenfalls in der Mitte liegen, schreit aber sofort nachdem man ihn abgelegt hat jämmerlich drauf los, setzt sich schliesslich doch ein bisschen in Bewegung, aber nur ein kurzes Stück, dann bleibt er wieder liegen und schreit weiter

Welpe 4 : wie Welpe 1, gibt dabei aber immer wieder Laute von sich

Welpe 5 : bleibt in der Mitte liegen, hebt ab und an den Kopf, gibt ein paar Töne von sich, bleibt aber liegen und schläft schliesslich ein

Na, liebe Blogleser, welchen Welpen hättet ihr nun ausgesucht ? Mit dieser Frage lasse ich euch jetzt erst einmal allein. Ich bin gespannt auf eure Auswahl !

Wohlgemerkt, dies ist unser erster Test, der nur vorläufige Hinweise geben soll. In einem zweiten Test im Alter von 6 Wochen werden wir den Welpen noch einmal auf den Zahn fühlen. Aber dazu später.

Ich werde euch dann auch erzählen, wie Shawn’s Testergebnisse aussahen, denn sein Werdegang soll ja hier erzählt werden.

Am Schluss sei noch erwähnt, dass die Grundlage dieses oben beschriebenen Tests von dem Verhaltensforscher Eberhard Trummler entwickelt wurde. Er nannte ihn Biotonus-Test. Trummler setzte die Welpen kurz nach der Geburt auf ein Testfeld und beobachtete 4 Minuten lang ihre Reaktion. Welpen die sich viel bewegten, hatten nach seiner Einschätzungen einen guten Biotonus, sprich starken Lebenswillen.

Schaut unter den Literaturhinweisen nach ! Dort findet ihr seine sehr lesenswerten Bücher, die mittlerweile alle Klassiker geworden sind, wie Konrad Lorenz‘ „So kam der Mensch auf den Hund“.

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Tagebuch einer Blindenführhundeausbildung

Donnerstag, 17 Mai 2007

Ich habe vielleicht etwas zu viel versprochen mit dem Satz: Morgen mehr darüber. Heute ist „morgen“ und ich hatte dennoch keine Zeit, einen Beitrag zu schreiben. Vielleicht drückt jemand von Euch da draussen einmal seine Ideen davon aus, was ein Blindenhund so alles zu leisten hat und vor allen Dingen, wie man ihm dies beibringt.  Aber keine Angst, ich werde mich nicht drücken und mit meinem Trainingstagebuch bald beginnen. Trotzdem würden mich Eure Vorstellungen wirklich sehr interessieren.

Bis bald

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Tagebuch einer Blindenführhundausbildung

Mittwoch, 16 Mai 2007

Hier werden demnächst die Abenteuer des Blindenführhundes Shawn erscheinen. Wie bringt man einem Hund bei, die Stolperfallen des menschlichen Alltags zuverlässig zu umgehen und damit sich und seinen Menschen sicher nach Hause zu führen, usw. ?

Morgen mehr darüber.